Auf dem Fahrrad durch die Camargue
29 Juni, 2018
Wer an die Camargue denkt, denkt an Wildpferde und Stiere. Aber die ausgedehnten Sumpfgebiete, Dünen und Reisfelder der Camargue sind in erster Linie der Lebensraum Tausender Vögel. Einer farbenprächtiger als der andere. Und vom Fahrrad aus sieht man sie am besten.
Lesezeit: ca. 7 Minuten
Es ist noch früh am Morgen, als wir mit einer herrlichen Meeresbrise im Rücken über La Digue radeln, den unbefestigten Seedeich bei Saintes-Maries-de-la-Mer. Auf der rechten Seite das tiefblaue Mittelmeer mit – zu dieser Zeit noch menschenleeren – weißen Sandstränden. Auf der linken Seite erstreckt sich, soweit das Auge reicht, die Camargue mit ihren Seen und Sümpfen. Die Sonne sorgt für angenehme Temperaturen. Wie schön das Leben sein kann!
Dieser Radweg eignet sich nicht, um Tempo zu machen. La Digue hat viel von einem lang gestreckten Vogelbeobachtungsposten. Alle fünfzig Meter halten wir an und nehmen das Fernglas zur Hand. Am eindrucksvollsten sind die Flamingos, die in kleinen Gruppen durch das seichte Wasser waten. Die exotischen, hochbeinigen Tänzer beugen die langen Hälse, um mit den knollenförmigen Schnäbeln Krebse und Krabben aus dem Wasser zu filtern. Hier in der Camargue treffen wir die einzige Brutkolonie Frankreichs an, die in Spitzenjahren bis zu 15.000 Paare umfasst. Flamingos gibt es hier in großer Zahl. Sie werden Ihnen bei einem Aufenthalt in der Camargue garantiert begegnen.
Wasser und Feuer(-Flügel)
Regelmäßig fliegt eine Gruppe Flamingos über uns hinweg. Die Vögel pendeln zwischen der Brutkolonie und den Sümpfen hin und her, um nach Nahrung zu suchen. Wir kennen Flamingos in erster Linie aus Vogelparks und Tiergärten. Behäbige, langweilige Vögel, die meist den ganzen Tag auf einem Bein vor sich hin dösen. Hier bietet sich ein ganz anderes Schauspiel. Vor allem beim Anblick fliegender Flamingos fällt man vor Staunen fast vom Rad. Die normalerweise zartrosafarbenen Vögel verwandeln sich in schwarz-rote Feuervögel. Und genau das bedeutet der wissenschaftliche Name des Flamingos, Phoenicopterus roseus: Feuerflügel.
Inzwischen ist es ziemlich warm geworden. Das ist das Tückische an dieser Radroute. Sogar im Frühjahr können die Temperaturen bis zu 30°C erreichen. Im Schatten zu radeln ist keine Option, denn Bäume sind weit und breit nicht zu entdecken. Man sollte also an einiges denken, bevor man vom Campingplatz aufbricht. Zur Standardausrüstung gehören Kappe oder Sonnenhut, Sonnenbrille, Sonnenschutzcreme, ausreichend Trinkwasser und je nach Jahreszeit auch Mückenschutzmittel. Unterwegs gibt es kaum Einkehrmöglichkeiten, nehmen Sie also auch Proviant mit. Und last, but not least – oder auf gut Französisch enfin et surtout – Ihr Fernglas.
Schlammbad für Säbelschnäbler
Dieses optische Hilfsmittel wird Ihnen gute Dienste leisten. Wir sehen zwischen den mannsgroßen Flamingos allerlei kleinere Stelzenläufer scharren. Mit dem Naturführer in der Hand (auch mitnehmen!) erkennen wir zierliche schwarz-weiße Säbelschnäbler, die mit ihren langen, nach oben gebogenen Schnäbeln kleine Fische und Insekten aus dem Wasser „mähen“. Die Brandgänse, die wir etwas später entdecken, haben ihre eigene Art und Weise, an Futter zu kommen. Wie ein Bulldozer schieben sie ihren flachen roten Entenschnabel durch den Schlamm, in dem sich ebenfalls ein reich gedeckter Tisch zu verbergen scheint. Wie schön diese Brandgänse sind – mit ihrem dunkelgrünen Kopf, dem knallroten Schnabel, dem weißen Hals- und Körpergefieder sowie einem rostbraunen Brustband. Es ist ein Rätsel, wie die hauptsächlich weißen Säbelschnäbler und Brandgänse es schaffen, fast immer blütenweiß zu bleiben, obwohl sie ständig im Schlamm stehen. In diesem subtropischen Klima kommen die Vögel voll und ganz zu ihrem Recht.
Unser Ziel auf dieser Radtour ist der zwölf Kilometer entfernte Phare de la Gacholle. Von diesem Leuchtturm hat man einen großartigen Blick auf die Umgebung. Am Leuchtturm bieten sich zwei Möglichkeiten: Entweder man fährt dieselbe Strecke zurück oder geradeaus weiter in Richtung Saint Bernard und um den Étang de Vaccarès herum. Die Strecke um diesen großen See, der die Camargue-Landschaft prägt, ist insgesamt 50 Kilometer lang. Bei dem Tempo, in dem wir fahren, kann man dafür bequem zwei Tage ansetzen. Vielleicht wäre – auch weil die Wege nicht immer leicht zu befahren sind – ein (E-)Mountainbike ein geeigneteres Fahrzeug.
Saintes-Maries-de-la-Mer
Wir kehren also um, und da wir auf dem Rückweg nicht zu viele Vogelstopps einlegen, sind wir gegen Mittag zurück in Saintes-Maries-de-la-Mer. Trotz der nur 2.500 Einwohner darf dieser hübsche Ort sich „Hauptstadt“ der Camargue nennen. Bereits seit dem 12. Jahrhundert ist er ein wichtiger Wallfahrtsort der Roma. Jedes Jahr am 24. und 25. Mai findet eine Wallfahrt statt, an der Roma aus ganz Europa teilnehmen, um ihre Schutzheilige, die schwarze Sara, zu ehren.
Das ganze Jahr über zieht Saintes-Maries-de-la-Mer Touristen an. Viele kommen, um die Wallfahrtskirche zu besuchen oder sich die Stierkämpfe anzuschauen, die hier immer noch in einer Arena aufgeführt werden. Saintes-Maries-de-la-Mer ist ein echter Badeort mit einer mondänen Promenade, attraktiven Stränden zum Sonnenbaden und zahlreichen Bars und Restaurants. Man kann auch an Bootsfahrten teilnehmen, die Camargue zu Pferd erkunden oder ein Fahrrad mieten.
In der näheren Umgebung liegen mehrere Campingplätze, die sich als Ausgangsbasis für die Erkundung der Camargue gut eignen. Bedenken Sie allerdings, dass Sie sich hier im touristischen Zentrum der Camargue befinden, wo – vor allem in der Hochsaison – viel Betrieb herrscht. Wir haben uns für den viel ruhiger gelegenen Campingplatz Crin Blanc in der Nähe von Saint-Gilles im Norden der Camargue entschieden.
Laubfrösche neben dem Wohnwagen
Neben großzügigen Stellplätzen für den Wohnwagen bietet der Campingplatz Crin Blanc das unverzichtbare Schwimmbad für die (Enkel-)Kinder und ein gutes Restaurant. Im April und Mai – der für Hobbyornithologen interessantesten Zeit in der Camargue – ist es dort ruhig. Eine zusätzliche Attraktion auf dem Campingplatz sind die vielen Laubfrösche. Vor allem abends und nachts, aber auch tagsüber, ertönt das Quakkonzert rund um den Wohnwagen. Sogar in der Weißdornhecke neben dem Parkplatz am Eingang halten sich Laubfrösche auf. Sie verstecken sich auch gerne in Brombeersträuchern und können dort stundenlang reglos sitzen bleiben. Oft muss man eine ganze Weile suchen, bis man den ersten Laubfrosch zu Gesicht bekommt. Wenn das gelungen ist und man weiß, worauf man achten muss, wird es meist einfacher, die grünen Hüpfer zu entdecken.
Mit dem Auto, dem Fahrrad oder zu Fuß: Für die Entdeckung der Camargue eignen sich viele Wege. Vergessen Sie nicht, Ihren Fahrradgepäckträger fürs Auto mitzunehmen. Fahren Sie zuerst 25 Kilometer mit dem Auto in einen anderen Teil der Camargue und entdecken Sie anschließend auf dem Fahrrad eine ganz neue Welt. Mit einer guten Karte finden Sie Fahrrad- und Wanderwege sowie viele stille Landstraßen. Meiden Sie mit dem Fahrrad die größeren verkehrsreichen Straßen, denn manche Franzosen neigen dazu, sich mit Sebastian Vettel zu messen.
Reis und Vögel
Von unserem Campingplatz in Saint-Gilles ist es nicht weit zu den Reisfeldern. Es ist interessant zu sehen, wie ein Netz von Bewässerungskanälen trockene und unter Wasser stehende Bereiche miteinander verbindet. Wasser ist in der Camargue schon seit Jahrhunderten das Zauberwort. Das Gebiet verdankt seine Entstehung der Rhône. Dieser Fluss entspringt an dem großen Rhônegletscher am Furkapass in der Schweiz. Von dort fließt das Wasser 800 Kilometer weit Richtung Südwesten. Die viel genutzte Route du Soleil (A7) folgt in weiten Teilen dem Lauf des Flusses. Bei Arles teilt sich die Rhone in Grand-Rhône und Petit-Rhône. In dem dreieckigen Delta zwischen diesen beiden Flüssen befindet sich die Camargue, konstante Wasserzufuhr garantiert.
Auf überschwemmten Reisfeldern, wo der Reis schon fast reif oder gerade geerntet worden ist, finden Vögel jede Menge Nahrung. Hier waten Stelzenläufer auf exorbitant hohen Beinen durch das Wasser, dort scharrt ein geheimnisvoller Rallenreiher am Wasserrand und eine Gruppe Brauner Sichler scheint zu schlafen. Bis die Vögel der Meinung sind, dass man ihnen zu nahe kommt, und scharenweise davonfliegen. Einen guten Eindruck von der Reiskultur und den dazugehörigen Vögeln bekommt man im Musée de la Camargue bei Mas du Pont Rousty. Hinter dem Museum im Stil eines Besucherzentrums erstreckt sich ein Naturreservat, in dem viele typische Camargue-Vögel in freier Wildbahn leben. Hier fischen Eisvögel in den Bewässerungskanälen, und farbenprächtige Bienenfresser jagen Libellen in der Luft. Kuhreiher halten sich in der Nähe von Pferden und Schafen auf, weil sie wissen, dass diese Heuschrecken und andere Leckerbissen aufschrecken, wenn sie durch die niedrige Vegetation streifen.
Parc Ornithologique
Ein ganz anderer Ort ist der Parc Ornithologique Pont de Gau, gelegen an der D 570 nördlich von Saintes-Maries-de-la-Mer. Pont de Gau ist zwar ein Vogelpark, aber fast alle Vögel, die man hier sieht, leben vollständig in Freiheit. Nur wenige Exemplare werden in Gehegen gehalten. Die meisten Vögel fliegen frei in den Park hinein und wieder hinaus. Sie fühlen sich hier sicher, weil sie nicht gejagt werden. Außerdem werden beispielsweise die Flamingos zweimal täglich gefüttert. Zur Fütterungszeit kommen sie aus allen Himmelsrichtungen angeflogen, um einen Happen mitzuessen.
Der Park beherbergt eine große Reiherkolonie mit Graureihern, Seidenreihern, Rallenreihern und Nachtreihern. Auch diese Vögel leben in völliger Freiheit. Das 60 Hektar große Gebiet umfasst Seen und Sümpfe – die Camargue im Kleinen. Ein Ort, der für Natur- und Vogelfotografen vorzügliche Bedingungen bietet. Erschrecken Sie nicht, wenn Sie sich plötzlich einem Nutria gegenübersehen. Es handelt sich weder um eine riesige Ratte noch um einen Biber. Die Tiere von der Größe eines kleinen Hundes sind absolut ungefährlich und ernähren sich ausschließlich von Pflanzen.
Es dürfte deutlich geworden sein, dass die Camargue Rad fahrenden Natur- und Vogelfreunden viel zu bieten hat. Was halten Sie davon, den Tag in einem einladenden Straßencafé im Schatten einer Platane auf einem südfranzösischen Platz ausklingen zu lassen?
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1 Kommentar
Vielen Dank für den Beitrag. Auf jeden Fall interessant, obwohl ich als Mountainbiker wohl eher in die Berge möchte. Hatte mal überlegt in die Schweiz zu fahren und vielleicht von einem Bike Hotel in Davos über verschiedene Berge zu fahren. Aber mal schauen. Die Camargue sieht an sich sehr schön und angenehm zu fahren aus! 🙂